Keramische Werkstoffe („Ton“) waren der Menschheit bereits in der Steinzeit bekannt und fanden vielseitige Verwendung – entsprechende Funde kann man in Museen weltweit betrachten. Das Wort Keramik entstammt dem griechischen Begriff „keramos“ und bedeutet so viel wie „gebrannte Erde“. Die heutigen Keramiken entwickelten sich aus dem Porzellan, welches um 700 n. Chr. erstmals in China hergestellt wurde, unter der Sui- und Tang-Dynastie. Die Zusammensetzung und die Produktionsmethoden waren immer ein gut gehütetes Geheimnis. Seefahrer Marco Polo, der das Porzellan um 1300 auf seinen Fernreisen durch China kennen lernte, brachte es nach Europa.
Die europäische Herstellung von Porzellan kam indes erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Gang und ist untrennbar mit dem deutschen Chemiker Johann Friedrich Böttger (1682 – 1719) verbunden. Böttger experimentierte in Dresden eigentlich an einer Methode, aus unedlen Metallen Gold zu erschaffen und „erfand“ den Weg zur Herstellung von Porzellan quasi als Nebenprodukt im Januar 1708. Das enorme Potential der Erfindung wurde schnell erkannt; zwei Jahre später wurde in Meißen die erste Porzellanmanufaktur Europas gegründet, welche Weltruhm erlangte und noch heute existiert. Nach wie vor besteht der Werkstoff Porzellan aus den drei Grundbestandteilen Kaolin (eine helle Tonerde), Feldspat (ein Silikat-Mineral) und Quarz (Siliziumdioxid). Das beste Mischungsverhältnis für verschiedenste Verwendungszwecke, die Auswahl weiterer Zusatzstoffe, die passenden Brennverfahren und die abschließenden Bearbeitungsschritte sind auch in der heutigen Zeit zumeist Betriebsgeheimnisse bzw. Patente der jeweiligen Hersteller.
Nachdem Porzellan in Europa schon einige Jahrzehnte industriell gefertigt wurde, fand es in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch seinen Weg in die Zahnheilkunde, zunächst als kosmetischer Zahnersatz. Viele „Tüftler und Bastler“ (den Beruf des Zahntechnikers gab es noch nicht) schufen im Auftrag zumeist wohlhabender Kunden einzelne Porzellanzähne, Zahnreihen oder komplette Gebisse aus Porzellan, um fehlende Zähne zu ersetzen. Diese Prothesen konnten optisch wohl ganz gut aussehen, hatten aber praktisch keinen mechanischen Nutzen; sie ließen sich im Mund noch nicht fest verankern und man konnte damit nicht beißen oder kauen. Wer es dennoch versuchte, hatte bald Porzellanbruch. Bis zur fest montierten, dauerbelastbaren Zahnkrone aus Metall mit äußerer Porzellanverblendung war es noch ein langer Weg.
Und nun ein Zeitsprung ist späte 19. Jh.: Die Techniken der Zahnheilkunde haben sich etabliert, enorm weiter entwickelt und diversifiziert. In Dresden praktiziert seit den 1870er Jahren der US-amerikanische Zahnarzt Dr. Newell Sill Jenkins (1840 – 1919), der sich einen hervorragenden Ruf erworben hat und Kunden aus ganz Europa behandelt, darunter auch Fürstenfamilien und Künstler wie etwa der Komponist Richard Wagner. Jenkins verfolgt weiterhin die Entwicklung der Dentaltechnik diesseits und jenseits des Atlantiks und forscht auch selbst aktiv nach neuen Werkstoffen und Möglichkeiten der Behandlung von Zahnschäden. Nachdem ein Kollege (Wilhelm Herbst) 1889 erste Erfahrungen mit Zahnfüllungen aus pulverisiertem Glas publiziert, richtet sich Jenkins’ Interesse fortan auf die Nutzbarmachung von Porzellan als Füllmaterial. In zahllosen Versuchen, assistiert von seiner Frau, testet er selbstgemischte Porzellanmassen auf deren Verarbeitungsfreundlichkeit und Endfestigkeit. Jenkins besucht auch etliche Porzellanmanufakturen in Deutschland und trägt dort seine Liste der technischen Anforderungen an das Material vor, um einen Produktionspartner zu finden. 1899 stellt Jenkins schließlich das Ergebnis vor: Seine neuartige, niedrig-schmelzende Porzellan-Emaille, die leichter zu verarbeiten ist als die bisher bekannten Porzellanmassen. 1903 folgt die Präsentation eines neuen Porzellans für Kronen- und Brückenarbeiten.
Newell Sill Jenkins ist also derjenige, der Porzellan als Füllmaterial in Europa entwickelt, eingeführt und populär gemacht hat. Auf seine Kappe geht im Jahr 1908 auch noch die Erfindung und Einführung einer neuartigen Zahnpaste, die nicht nur reinigt sondern auch antibakteriell wirkt. Das Produkt nennt er Kolynos (aus dem Griechischen Kolyo nosus, „Krankheiten verhüten“). Die Marke Kolynos gehört heute dem Colgate-Palmolive Konzern und ist auf bestimmten Märkten immer noch erhältlich – in Deutschland offenbar nicht. Jenkins praktiziert in Dresden noch bis 1909 und zieht dann nach Paris. 1916 siedelt er wegen des 1. Weltkriegs zurück nach Amerika und stirbt im September 1919 mit fast 80 Jahren.
Was zu Jenkins’ Zeit das Porzellan war, ist heute Keramik aus Zirkonoxid – ein heiß begehrter, hoch belastbarer, biologisch bestens verträglicher Werkstoff für den Zahnersatz. Diese Hochleistungskeramik erlaubt es, den Zahnersatz den natürlichen Zähnen täuschend ähnlich nachzubilden.
Text: Alexander Strauch