Hier ein kurzer Abriss über das Leben und Wirken eines Mediziners, der heute als der wichtigste Pionier der Sexualforschung gilt.
Magnus Hirschfeld wird am 14. Mai 1868 im pommerschen Kolberg (heute Kolobrzeg, Polen) geboren. Er entstammt einer kinderreichen jüdischen Familie, schon der Vater ist Arzt und örtlicher Medizinaldirektor. Nach dem Abitur in seiner Heimatstadt zieht der junge Hirschfeld zunächst nach Breslau (heute Wroclaw, Polen). Er beginnt dort ein Studium der vergleichenden Sprachwissenschaften, wechselt aber bald nach Straßburg, um dort Humanmedizin zu studieren. Weitere Station der Studienzeit sind München, Heidelberg und Berlin; hier promoviert er 1892 mit der Arbeit „Über Erkrankungen des Nervensystems im Gefolge der Influenza“. Seine erste Station als Allgemeinmediziner und Naturheilkundler mit eigener Praxis ist Magdeburg, 1894 zieht er nach Charlottenburg bei Berlin (heute Stadtbezirk).
Neben seiner Tätigkeit als Arzt schreibt Hirschfeld ab 1896 Artikel für die medizinische Zeitschrift „Hausdoctor“, in der es vornehmlich um Naturheilkunde und naturgemäße Lebensführung geht, aber auch um sexuelle Aufklärung und Erziehung. Hirschfeld beginnt, sich gegen die Diskriminierung und Kriminalisierung von Homosexuellen zu engagieren: Der berüchtigte Paragraf 175 des Deutschen Strafgesetzbuches stellte zu dieser Zeit gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen und Beziehungen unter Strafe; er wurde nach abschwächenden Reformen von 1969 und 1973 erst 1994 im Rahmen der Rechtsvereinheitlichung mit dem Gebiet der ehem. DDR endgültig aus dem Gesetzestext gestrichen. 1897 gründet Magnus Hirschfeld zusammen mit dem Verleger Max Spohr (1850 – 1905) und weiteren Gelehrten das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (WhK), sozusagen die erste Schwulenorganisation, und übernimmt dessen Vorsitz. Im selben Jahr richtet er eine Petition an den Reichstag, die die Streichung des § 175 zum Ziel hat; das Anliegen wird verhandelt, scheitert jedoch. 1899 erscheint erstmals das von ihm herausgegebene „Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen“. Um die Jahrhundertwende beginnt Hirschfeld mit systematischen Befragungen und Untersuchungen zur sexuellen Orientierung der Bevölkerung, was ihm mehrere Strafanzeigen wegen Beleidigung einbringt. Neben der Forschung ist er auch als Gutachter tätig. 1914 erscheint als Zusammenfassung der Studien sein Standardwerk „Die Homosexualität des Mannes und des Weibes“.
Nachdem Hirschfelds Forschertätigkeit während des ersten Weltkrieges zwangsweise ruhen musste (er war als Lazarettarzt verpflichtet), widmet er sich nach Kriegsende dem Aufbau der weltweit ersten wissenschaftlichen Einrichtung für Sexualforschung: Das aus einer Stiftung finanzierte „Institut für Sexualwissenschaft“ eröffnet im Juli 1919 in Berlin-Tiergarten (die ehem. Villa des Violinvirtuosen Joseph Joachim von 1871, In den Zelten 9a -10 Ecke Beethovenstr. 3; dieser Standtort ist heute eine Grünfläche zwischen dem Bundeskanzleramt und dem Haus der Kulturen / Kongresshalle). Neben den verschiedenen Abteilungen zur Forschung, Beratung und Behandlung sowie der Bibliothek und dem großen Vortragssaal bezieht Hirschfeld hier auch seine Privatwohnung. In den Folgejahren forschen und lehren Sexualwissenschaftler aus dem In- und Ausland im Institut. 1926 erscheint als weiteres Standardwerk Hirschfelds Abhandlung „die Geschlechter“ sowie der erste Teil des fünfbändigen Werkes „Geschlechtskunde“ (bis 1930).
Als homosexueller Jude ist Magnus Hirschfeld Ende der zwanziger Jahre zunehmend Schmähungen und Bedrohungen aus der wachsenden nationalsozialistischen Bewegung ausgesetzt; auf dringendes Anraten von Freunden kehrt er Ende 1930 nicht von einer Vortragsreise durch die USA zurück, sondern zieht weiter mit Vorträgen um die ganze Welt: Ozeanien, Japan, China, Arabien und Griechenland sind seine Stationen. Danach wohnt er in Ascona (Tessin, Schweiz) und zuletzt im südfranzösischen Nizza, wo er an seinem 67. Geburtstag, dem 14. Mai 1935 stirbt und auch begraben wird. Zuvor war, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, sein Berliner Institut am 6. Mai 1933 von SA-Trupps und aufgehetzten Studenten verwüstet und geplündert worden, der Bestand der Bibliothek wurde wenige Tage später zusammen mit zahllosen Werken anderer Autoren, die den braunen Machthabern nicht genehm waren, auf dem Opernplatz (heute Bebelplatz, Unter den Linden) bei der öffentlichen Bücherverbrennung vernichtet.
Eine dem Hirschfeld´schen Institut vergleichbare Forschungs- und Lehrstätte entstand in Deutschland erst wieder 1973 mit dem Institut für Sexualwissenschaft der Goethe-Universität in Frankfurt / Main. Mit der Pensionierung des Leiters Prof. Volkmar Sigusch 2006 wurde das Institut nicht mehr weitergeführt; die Bibliothek und sexualmedizinische Sprechstunde sind seither dem dortigen Psychatriezentrum zugeordnet. In Berlin gibt es eine derartige Einrichtung wieder seit 1996: Das Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Berliner Charité sieht sich als interdisziplinäre Forschungs- und Lehrstätte im Geiste Magnus Hirschfelds.
Text: Alexander Strauch