In der breiten Öffentlichkeit gilt die Kardiologie, also die Lehre von Aufbau und Funktion des Herzens sowie seiner Erkrankungen und deren Therapie als „Königsdisziplin“ innerhalb des Fachgebietes der Inneren Medizin. Der Begriff Kardiologie setzt sich zusammen aus den griechischen Wörtern kardia (Herz) und lóga (Lehre). Es ist bemerkenswert, dass der Mensch schon sehr früh die Rolle des Herzens als zentrales, wichtiges Körperorgan erahnt; verschiedene steinzeitliche Funde (Höhlenzeichnungen) deuten darauf hin. In überlieferten Quellen antiker Medizin, etwa bei den Griechen, Römern und Chinesen wird vielfach dem Pulsschlag als fühlbarer Ausdruck der Herzfunktion besondere Bedeutung beigemessen.
Heute gelten die wissenschaftlichen Arbeiten des englischen Mediziners William Harvey (1578-1657) allgemein als Grundstein der Kardiologie. Harvey veröffentlicht 1628 Studienergebnisse, in denen er erstmals das System des menschlichen Blutkreislaufs mit dem Herzen als „Motor“ dieses Systems exakt beschreibt und damit die antike Vorstellung des Arztes Galenus von Pergamon widerlegt, nach der das Blut durch Zusammenziehen der Arterien in Bewegung versetzt wird. Etwa hundert Jahre nach Harvey misst sein Landsmann, der Physiologe Stephen Hales (1677-1761) erstmals direkt den Blutdruck bei einem Pferd mittels eines in eine frei gelegte Arterie eingeführten Metallröhrchens, welches mit einem Glaskolben verbunden ist.
Weitere Entwicklungen in der Anfangszeit der Herzmedizin sind die Entwicklung eines „Sphygmograph“ genannten Gerätes zur Aufzeichnung des Pulsschlags durch den deutschen Physiologen Karl von Vierordt (1818-1884) Mitte des 19. Jahrhunderts; zuvor hatte ein französischer Arzt eine Art Hörrohr zur akustischen Untersuchung von Herz- und Pulsschlag entwickelt: das Stethoskop. 1896 stellt der Italiener Scipione Riva-Rocci (1863-1937) eine von ihm gebaute aufblasbare Armmanschette mit Manometer vor; mit diesem Gerät wird erstmals die indirekte, unblutige Messung des Blutdrucks möglich.
Im jungen 20.Jahrhundert etabliert sich die Kardiologie als selbstständiges Fachgebiet der Inneren Medizin, es erscheinen die ersten Fachzeitschriften. Der Holländer Willem Einthoven stellt 1903 die erste Apparatur zur Ableitung und Aufzeichnung der elektrischen Herzströme vor, den Elektrokardiografen (EKG). Der Japaner Sunao Tawara beschreibt 1906 erstmals das Erregungsleitungssystem des Herzens, welches die Pumptätigkeit des Organs steuert. Im Juni 1927 wird im hessischen Bad Nauheim die „Deutsche Gesellschaft für Kreislaufforschung“ (DGK) gegründet; als „Deutsche Gesellschaft für Kardiologie“ besteht dieser medizinische Fachverband bis heute fort und zählt derzeit fast 9000 Mitglieder mit steigender Tendenz.
Weitere Meilensteine in der Entwicklung der Herzmedizin sind etwa:
1929 – erste Katheteruntersuchung des Herzvorhofs durch Werner Forßmann im Selbstversuch; späte Anerkennung der Leistung durch den Nobelpreis für Medizin 1956, gemeinsam mit weiteren Kollegen, die das Untersuchungsprinzip weiter entwickeln;
1950 – erste Ultraschalluntersuchungen des Herzens (Echokardiografie) durch Wolf-Dieter Keidel in Erlangen;
1953 – erste Operation am still stehenden Herzen unter Einsatz der vom US-Amerikaner John Gibbon entwickelten Herz-Lungen-Maschine in Philadelphia. In Deutschland erfolgt der erste derartige Eingriff 1957 durch Emil Bücherl in Berlin;
1958 – Implantation des ersten elektrischen Herzschrittmachers (Hersteller: Siemens) durch Åke Senning in Stockholm;
1959 – Markteinführung des Proteins Streptokinase als Arzneimittel durch die Marburger Behringwerke. Hiermit kann nach einem akuten Herzinfarkt das ursächliche Blutgerinnsel im Herzkranzgefäß aufgelöst werden;
1960 – erste Implantation einer künstlichen Herzklappe durch die US-Amerikaner Starr und Edwards in Portland / Oregon;
1963/64 – Einführung neuartiger Herzmedikamente aus der Gruppe der Kalziumantagonisten bzw. Beta-Rezeptorenblocker. Erstere senken den Sauerstoffbedarf des Herzens sowie den Blutdruck, Betablocker können u.a. auch zur Therapie von Herzrhythmusstörungen eingesetzt werden;
1967- erste Venen-Bypassoperation durch den Argentinier René Favaloro in Cleveland / Ohio (USA);
1967 – erste geglückte Verpflanzung eines kompletten Herzens einer Verstorbenen in einen anderen Menschen durch den Südafrikaner Cristiaan Bernard. Der Patient überlebt die OP, stirbt jedoch wenige Tage später an einer Infektion infolge der Medikation zur Unterdrückung der Abstoßungsreaktion des Immunsystems;
1977 – erste Aufweitung eines verstopften Herzkranzgefäßes durch einen mittels Katheter zugeführten Ballons (Ballon-Dilatation) durch Andreas Grüntzig in Zürich; dies gilt als Anfang der eingreifenden (interventionellen) Kardiologie;
1982 – erste Implantation eines Kunstherzens mit externer Steuerung am Menschen durch William de Vries in Salt Lake City / Utah (USA). Der Patient überlebt drei Monate;
1986 – erste Implantation von Röhrchen aus Drahtgeflecht (Stents) zur dauerhaften Aufdehnung verengter Herzkranzgefäße. Operateur ist Ulrich Sigwart in Lausanne / Schweiz;
1995 – Im Herz- und Gefäßzentrum Bad Bevensen / Niedersachsen führt Prof. Joachim Laas die deutschlandweit erste Operation von Herzkranzgefäßen mit einer neuen minimalinvasiven, monitorgestützten Methode durch. Die Technologie war im Jahr zuvor erfolgreich in den USA etabliert worden;
späte 1990er Jahre – Etablierung der bildgebenden Untersuchungsverfahren Computertomografie und Magnetresonanztomografie („Kernspin“) auch für die Herzdiagnostik. Dies wurde erst durch stark verbesserte Rechnerleistung ermöglicht, zuvor konnte der sich ständig schnell bewegende Herzmuskel mit diesen Verfahren noch nicht in brauchbarer Qualität dargestellt werden;
seit den 1990er Jahren – Entwicklung der kathetergeführten Verfahren zur Verödung von unerwünschten Reizleitungsbahnen im Herzvorhof (Katheterablation). Dies stellt die mit Abstand wirksamste, dauerhafte Methode zur Therapie des Volksleidens Vorhofflimmern als häufigste Form von Herzrhythmusstörungen (etwa 2 Mio. Betroffene in Deutschland) dar.
Heute befasst sich die Kardiologie mit einem breiten Spektrum von Erkrankungen und Therapieformen. Die wichtigsten Bereiche sind die koronare Herzkrankheit (KHK), verminderte Pumpleistung (Herzinsuffizienz), Erkrankungen und Entzündungen des Herzmuskels (Myokard), Herzklappenerkrankungen sowie die Rhythmologie (Therapie von Herzrhythmusstörungen) und die Behandlung des Bluthochdrucks. In Forschung, Lehre und Praxis sind bundesweit etwa 2.000 Fachärzte für Kardiologie aktiv.
Text: Alexander Strauch