Wenn heute von einer Allergie gesprochen wird, können wohl die meisten von uns zumindest grob beschreiben, was dieser Begriff in der Medizin bedeutet: Eine überempfindliche, oft entzündliche Reaktion unseres Immunsystems auf in bzw. an den Körper gelangte Substanzen, die eigentlich nicht gesundheitsschädlich sind. Die grundlegenden Erkenntnisse über die biologischen Vorgänge bei derartigen Reaktionen gewonnen und wissenschaftlich validiert zu haben, ist der Verdienst des österreichischen Kinderarztes und Hochschullehrers Clemens von Pirquet. Er ist es, der hierfür den Begriff Allergie (entlehnt aus dem Griechischen allos = anders und ergon = Funktion, Tat) prägte und in der Medizinlehre populär machte.
Clemens Peter Freiherr von Pirquet wird am 12. Mai 1874 in Hirschstetten bei Wien geboren; er entstammt einer kinderreichen Adelsfamilie mit Großgrundbesitz, der Vater ist Abgeordneter im österreichischen Parlament. Nach dem Abitur in Wien (1892) beginnt er auf Wunsch der Mutter zunächst ein Theologiestudium in Innsbruck, wechselt aber bereits im Jahr darauf nach Leuven (Belgien), um sich der Philosophie zu widmen. Hier legt er 1894 die Magisterprüfung ab, kehrt nach Wien zurück und beginnt, ermuntert durch seinen Schwager, einen Chirurgen, gegen den Willen seiner Eltern erneut ein Studium: Humanmedizin. Sein Studienweg führt ihn von Wien über Königsberg nach Graz, wo er 1900 zum Dr. med. promoviert. Interessenschwerpunkte seiner Studien sind Infektionskrankheiten und die sich gerade als eigenes medizinisches Fachgebiet etablierende Pädiatrie (Kinderheilkunde). Die anschließende praktische Fortbildung zum Kinderarzt erfolgt zunächst an der Berliner Charité; in diesem Krankenhaus besteht seit 1894 eine der ersten Kinderkliniken in Deutschland, geleitet von Otto Heubner (1843 – 1926).
Ende 1901 kehrt Pirquet nach Wien zurück und setzt die pädiatrische Fortbildung an der Kinderklinik im St. Anna-Spital fort. Sein dortiger Lehrer ist Theodor Escherich (1857 -1911; als Bakteriologe zu Weltruhm gelangt, nach ihm ist eine Gruppe von Darmbakterien, escherichia coli benannt, sind kürzlich bei der EHEC-Epidemie relevant gewesen). Escherich erkennt und fördert den Forscherdrang des jungen Kollegen. Bereits 1903 legt Pirquet seine frühen Erkenntnisse zu Infektionen und Immunisierung in einem Thesenpapier („Zur Theorie der Infektionskrankheiten“) der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien vor.
1906 prägt Pirquet den neuen Begriff Allergie: Er sagt, dass bei wiederholtem Kontakt mit einem Allergen bzw. Antigen eine Reaktion mit dem spezifischen Gegenstoff (Antikörper) hervorgerufen wird; diesen gesamten veränderten Reaktionsablauf des Körpers nennt er Allergie. 1907 folgt die Entwicklung einer Methode zur Früherkennung einer Infektion mit dem Tuberkuloseerreger: der Tuberkulin-Hauttest, später auch als Pirquet-Reaktion bezeichnet. Die Dokumentation hierüber ist Grundlage seiner Habilitation 1908, er wird sogar mehrfach für den Medizin-Nobelpreis vorgeschlagen.
Kurz darauf folgt Pirquet einem Ruf der John-Hopkins-Universität in Baltimore / USA und lehrt dort zwei Jahre lang Kinderheilkunde. Als er 1910 nach Europa zurückkehrt, ist seine Arbeitsstation zunächst der Lehrstuhl für Pädiatrie in Breslau (heute Wroclaw, Polen), doch wenige Monate später stirbt in Wien sein Lehrer und Mentor Theodor Escherich, der zuletzt den Neubau einer Universitäts-Kinderklinik im Allgemeinen Krankenhaus auf den Weg gebracht hatte. Daher bietet man nunmehr Pirquet die ärztliche Leitung dieser neuen Klinik und des universitären Lehrbetriebes an; er folgt diesem Ruf, kommt erneut nach Wien und leitet die Klinik über 16 Jahre lang.
Zu den Neuerungen, die Pirquet in dieser Zeitspanne anschiebt, gehören die Einrichtung einer heilpädagogischen Abteilung mit Freiluftstation für tuberkulosekranke Kinder und die Aufwertung der Krankenpflege in der medizinischen Versorgung: Ab 1924 müssen angehende Mediziner an seiner Klinik zusätzlich ein Praktikum in Krankenpflege ableisten. Außerdem entwickelt er ein neuartiges Ernährungskonzept (das so genannte NEM-System, NEM = Nähreinheit Milch). Kurz nach Ende des ersten Weltkrieges (1919 -1921) organisiert Pirquet mit seinen guten Kontakten zur amerikanischen Kinderhilfsorganisation eine groß angelegte Nahrungs-Grundversorgung für unterernährte Kinder in Österreich.
Seine Reputation und Beliebtheit sind inzwischen so groß geworden, dass man ihn 1928 sogar für die Nachfolge im Amt des österreichischen Bundespräsidenten ins Gespräch bringt. Doch entgegen aller beruflicher Erfolge und Anerkennung gestaltet sich sein Privatleben zuletzt offenbar tragisch, denn Clemens Freiherr von Pirquet begeht am 28. Februar 1929 gemeinsam mit seiner vermutlich depressiven und medikamentenabhängigen Frau Selbstmord durch Vergiftung mit Zyankali. Die Grabstätte des Paares findet sich auf dem Wiener Zentralfriedhof. Seine Verdienste werden in der heutigen Zeit u.a. durch die Vergabe von Medizinpreisen (die Clemens-von-Pirquet-Medaille der Österreichischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie sowie des Pirquet-Preises der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde) gewürdigt.
Text: Alexander Strauch