In der langen Geschichte der Heilkunde finden sich immer wieder Beschreibungen von Krankheitssymptomen, die wir nach unserem heutigen Wissensstand als Allergieleiden klassifizieren können. Doch erst im 19. Jahrhundert erlangen derartige Erkrankungen zunehmend sowohl die Aufmerksamkeit der medizinischen Fachwelt (als ein entstehendes Volksgesundheitsproblem) als auch wissenschaftliches Interesse, gestützt auf die Fortschritte im Bereich der biochemischen Techniken und die Entwicklung der Molekular- und Pathogentheorien.
Eine erste präzise medizinische Fallbeschreibung dessen, was später als „Heuschnupfen“ bekannt werden sollte, liefert der britische Arzt und Physiker John Bostock im Jahr 1819; er nennt das Krankheitsbild noch „catarrhus aestivus“, was wörtlich übersetzt „Sommererkältung“ bedeutet. Die erste Benennung als „Heuschnupfen“ wegen eines vermuteten Zusammenhangs mit Gräsern und Wiesenblumen als Auslöser der Symptome stammt von seinem Kollegen John MacCulloch aus dem Jahr 1828. Interessant sind hier auch Beschreibungen des Heuschnupfens als eines typischen Leidens der Oberschicht: Ein erster Hinweis auf Immunisierungsprozesse bzw. darauf, dass Personen, die viel im Freien arbeiten, also ständig den vermuteten Allergieauslösern ausgesetzt sind, viel seltener Krankheitssymptome zeigen als die „feinen“ Herrschaften jener Zeit, die sich nur gelegentlich ins Freie begeben.
Die konkrete Benennung von Blüten- und Gräserpollen als Auslöser von Heuschnupfen geht auf den ebenfalls britischen Arzt Charles Harrison Blackley zurück, der selbst an Heuschnupfen leidet und in zahllosen Selbstversuchen andere mögliche Auslöser wie Temperaturunterschiede, Düfte, Luftströmungen oder Licht ausschließen kann; 1873 erscheinen seine Erkenntnisse als wissenschaftliche Abhandlung. Bestätigt werden Blackleys Entdeckungen dreißig Jahre später; der amerikanische Mediziner William P. Dunbar, seit 1892 am Hamburger Hygiene-Institut tätig, kann 1903 mithilfe der inzwischen verfügbaren Labortechnologie Bestandteile der Pollen isolieren und daraus erste Substanzen für so genannte Provokationstests entwickeln. Der Begriff „Allergie“ für fremdartige Reaktionen des Körpers auf bestimmte Stoffe wird 1906 durch den Österreicher Clemens von Pirquet (zu ihm existiert ein eigener Artikel auf dieser Plattform) in den Wissenschaftsbetrieb eingeführt.
Aufbauend auf die bisher geschilderten Erkenntnisse sind es wiederum britische Ärzte, die 1911 mit einer ersten Reihe von Experimenten zur Immuntherapie Aufsehen erregen: Leonard Noon und John Freeman behandeln etliche Heuschnupfenpatienten mit isoliertem Pollenextrakt und können tatsächlich Erfolge hinsichtlich einer verminderten Empfindlichkeit für die Allergene bei vielen Probanden verzeichnen, ihre Abhandlung hierzu ist die erste wirkliche Immuntherapiestudie. Im selben Jahr können die deutschen Chemiker Einhorn und Rotlauf Thymoxyethyldiethylamin synthetisieren; dies ist sozusagen die Ursubstanz aller heute üblichen Medikamente gegen Heuschnupfen (Antihistaminika). Leonard Noon stirbt schon 1913 mit 35 Jahren an Tuberkulose; im selben Jahr veröffentlicht William P. Dunbar seine gesammelten Studien zu den Themen Allergien und Immuntherapie; aus den Schriften geht hervor, dass er bereits einige Jahre vor Noon und Freeman eine Immuntherapie mit selbstextrahierten Erregern testete, als Proband fungierte sein Assistent. Nachdem dieser jedoch schwerste Allergiesymptome zeigte, wurde die Versuchsreihe abgebrochen. Die beschriebene Symptomatik ist das, was heute als anaphylaktischer Schock bekannt ist.
Die bahnbrechenden Erkenntnisse von Noon und Freeman beflügeln auch auf der anderen Seite des Atlantiks etliche Mediziner, in dieser Richtung weiter zu forschen. 1915 erscheint in den USA die erste allergologische Fachzeitschrift Journal of Immunology, ab 1917 gibt es in Boston die erste Fachklinik für Heuschnupfen und Asthma, eine entsprechende Klinik in New York folgt 1920. Amerikanische Ärzte sind es auch, die zu dieser Zeit die Palette bekannter Allergene erheblich erweitern: Tierhaare bzw. –Speichel, Hausstaubmilben, Getreide, Obst etc. werden klinisch getestet und identifiziert. Es setzt sich die prinzipiell bis heute gültige Erkenntnis durch, dass eine Allergieneigung nicht vollends kuriert sondern zumeist nur gemildert werden kann, der Begriff für die Immuntherapie wandelt sich folglich von der De- zur Hyposensibilisierung.
Trotz zahlreicher Publikationen und beachtlichen Therapieerfolgen gerät die Immuntherapie, spätestens mit dem klinischen Einsatz von Kortison ab 1949, für lange Zeit ins Abseits. Sie wird wegen ihrer immer noch signifikanten Nebenwirkungen und Risiken zunehmend kritisch gesehen: Mehrere Todesfälle im Zusammenhang mit Insektengiftimmuntherapie in England führen dort für Jahrzehnte praktisch zum Stillstand der Weiterentwicklung. Inzwischen haben jedoch verbesserte Reinigungsmethoden, die Identifizierung von Hauptallergenen und die Standardisierung von Allergenextrakten bewirkt, dass die spezifische Immuntherapie heute ihren anerkannten Stellenwert in der Therapie allergischer Erkrankungen hat, zumal sie nach wie vor die einzige Behandlungsmethode darstellt, die wirklich bei den Ursachen ansetzt.
Im pharmakologischen Sektor bringt die Zeit nach 1920 zahlreiche symptomatisch wirksame antiallergische Medikamente hervor: 1922 wird erstmals die therapeutische Verwendung von Adrenalin beschrieben, 1934 wird Pseudoephedrin in der Behandlung von allergischem Asthma eingesetzt. In den 1940er Jahren produzieren mehrere Firmen gleichzeitig die ersten Antihistaminika, die ihre führende Rolle in der Behandlung von Soforttypallergien bis in die 1980er Jahre hinein behalten. Diese Antihistamine der ersten Generation sind noch mit starken Nebenwirkungen behaftet; sie machen müde (sedative Wirkung) und können den Herzrhythmus stören. Zwischen 1950 und 1970 vervielfacht sich die Wissensbasis um die Vorgänge auf zellulärer Ebene bei Allergien, besonders über die Beteiligung des Immunsystems durch die Entdeckung des Antikörpers Immunglobulin E (IgE) durch das japanische Forscherpaar K. und T. Ishizaka im Jahr 1967. Spannend ist auch der sich seit den 1940er Jahren abzeichnende Vorteil der sublingualen Immuntherapie (SLIT), also der oralen Verabreichung von Allergenextrakten gegenüber der in der Anfangszeit praktizierten Therapie mittels Injektionen unter die Haut (subkutane Immuntherapie, SCIT).
Im neuen Jahrtausend bekommt die Immuntherapie einen enormen Innovationsschub; neue biotechnologische Verfahren werden entwickelt und klinische Studien gewinnen weiter an Präzision und Aussagekraft. Die Allergen-Immuntherapie ist längst den Kinderschuhen entwachsen und anerkannt: 2008 aktualisiert die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) ihre „Richtlinien für die klinische Entwicklung von Produkten für die Allergen-Immuntherapie zur Behandlung von Allergiekrankheiten“.
Weitere Informationen finden Sie unter www.allergienavigator.de .
Text: Alexander Strauch