Hier würdigen wir den berühmtesten deutschen Augenarzt des 19. Jahrhunderts: Friedrich Wilhelm Ernst Albrecht von Graefe. Es ist der Verdienst dieses Mannes, die Augenheilkunde (Ophtalmologie) vom Status eines Anhängsels der Chirurgie losgelöst und als eigenständiges medizinisches Fachgebiet etabliert zu haben. Albrecht von Graefe wird am 22. Mai 1828 in Berlin als Sohn des Generalstabsarztes Karl-Ferdinand von Graefe geboren. Schon der Vater ist als erster Professor für Chirurgie und Augenheilkunde an der Berliner Universität zu Ruhm und Ehre gekommen (Stichworte: Plastische Chirurgie, Wiederherstellungschirurgie). Albrecht von Graefe ist hoch begabt. Schon mit 15 Jahren, 1843, macht er das Abitur um unverzüglich ein Medizinstudium aufzunehmen, unter anderem bei dem Chirurg Langenbeck, dem Pathologen Johannes Müller, dem Kinderarzt Schönlein und dem Pathologen Rudolf Virchow. Er promoviert nur 4 Jahre später, gefolgt vom medizinischen Staatsexamen 1848. Es folgen weiterbildende Besuche und Arbeitsaufenthalte an den führenden europäischen Augenkliniken in Prag, Paris, Wien und London. Zu Beginn dieser „Wanderjahre“ ist von Graefe gerade mal 20, also in einem Alter, in dem man heute im Medizinstudium üblicherweise die ersten Veranstaltungen des Grundstudiums erlebt. Zurück in Berlin eröffnet Albrecht von Graefe 1851 eine eigene Praxis und erweitert diese kurz darauf zur Privatklinik. Schon ein Jahr später wird er Privatdozent für Chirurgie und Augenheilkunde mit einer Habilitationsschrift über die Wirkung der Augenmuskeln. Es wird berichtet, dass er schon im ersten Jahr fast 2.000 Patienten behandelte, später bis zu 10.000 Patienten pro Jahr bei geschätzten 3.000 Operationen.
Neben diesem beeindruckenden Arbeitseifer im klinischen Handwerk erwirbt sich Albrecht von Graefe herausragende Verdienste in wissenschaftlicher Hinsicht. Er ist einer der ersten, die den 1850 von Hermann von Helmholtz (1821–1894) neu erfundenen Augenspiegel anwenden; hierdurch entdeckt und beschreibt er viele Erkrankungen des Augenhintergrunds. Die formale und eingehende Prüfung von Sehschärfe und Gesichtsfeld wird von ihm eingeführt sowie, basierend auf seiner Habilitationsschrift, die Analyse von Motilitätsstörungen der Augen (Beweglichkeit). Hieraus entstehen Verfahren für Augenmuskeloperationen, die bereits große Ähnlichkeit mit den heute durchgeführten Eingriffen aufweisen.
Besonders häufig wird sein Name auch mit der Erforschung und Behandlung von Glaukomerkrankungen (krankhaft erhöhter Augeninnendruck, „Grüner Star“) in Verbindung gebracht. Zu seiner Zeit ist das Glaukom noch eine unheilbare Erkrankung, die meistens, von üblen Schmerzen begleitet, zur vollständigen Erblindung führt. Nach Tierexperimenten an Kaninchen, die eigentlich der Behandlung der Regenbogenhautentzündung (Iritis) zugedacht waren, kommt von Graefe auf die Idee, die Iris zu entfernen, denn er hält das Glaukom noch für eine Hypersekretionserkrankung der Iris. Hieraus entwickelt er die Grundform von Glaukomoperationen (Iridektomie).
Albrecht von Graefe gilt auch als sozial engagierter, dem Patienten zugewandter Arzt, der Bedürftige stets kostenlos behandelt. Sein gesellschaftliches Engagement zeigt er als Gründungsmitglied des „Archiv für Ophthalmologie“ (Fachzeitschrift, 1854) und der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft 1857, die als älteste wissenschaftliche Fachgesellschaft der Welt gilt.
Der akademische Lohn für solche Begabung und Erfolge ist 1866 die Berufung auf den neu gegründeten Lehrstuhl für Augenheilkunde der Medizinischen Fakultät in Berlin. 1868 wird er Leiter der Augenklinik der Berliner Charité, wo er weiter Augenheilkunde unterrichtet. Doch zwei Jahre später, am 20. Juli 1870, stirbt Albrecht von Graefe an den Auswirkungen einer schweren Lungentuberkulose. Er wird nur 42 Jahre alt. Auch sein Vetter Alfred Graefe (1830-1899), der u. A. bei ihm lernte, wird ein berühmter Augenarzt mit Wirkungsschwerpunkt in Halle / Saale.
In der Augenheilkunde tragen einige Fachbegriffe bis heute Graefes Namen, wie etwa der Graefe-Fleck und das Graefe-Syndrom. Bald nach seinem Tod wird die Albrecht-von-Graefe-Medaille gestiftet, eine Auszeichnung, die bis heute alle 10 Jahre an einen bedeutenden Ophthalmologen verliehen wird.
Text: Alexander Strauch Fotos: Institut für Historische Medizin der Charité