Vater werden ist doch schwer!
Mitte Oktober 1996 spazierten meine Frau und ich gemächlich durch den Tegeler Forst, die Havel entlang Richtung Tegelort. Das Wasser glitzerte in der Nachmittagssonne, die Herbstfarben hätten schöner nicht sein können und wir fühlten uns sehr entspannt, obgleich das bisher größte Ereignis nicht mehr lange auf sich warten lassen sollte. Genau genommen liefen wir nämlich zu dritt, denn am 2. November war DER TERMIN, der außergewöhnlichste und spannendste Termin meines Lebens. Das klingt zwar komisch, aber alle Kinder haben bereits einen Termin noch bevor sie auf der Welt sind.
Irgendwie gehört dieser Spaziergang genauso wie die Monate davor zum Gesamtbild meines ersten Vaterwerdens. Mehrere Seiten ließen sich jetzt füllen, aber beschränken wir uns auf die 25-stündige Gebärphase, den Abschluss einer Zeit, in der ich unter anderem versuchte, mir vorzustellen, wie alles werden könnte…. wie es sein wird zu dritt, wie ich mich einbringen kann, ich, den kleine Kinder zwar immer bestaunten, der ich aber bisher nicht wirklich viel mit den Minis anzufangen wusste. Ein völlig fremdes Feld. Es quälten mich Zweifel, war ich denn reif dafür??
Diese Fragen verflüchtigten sich mit der Zeit, ich muss aber zugeben, es dauerte.
Unsere Tochter kam pünktlich. Für noch-nicht-Väter: Dies kommt nicht besonders häufig vor. Aber bis sie kam, das war fast nicht auszuhalten! Als die ersten echten Wehen abends um elf auftraten, hatte ich eine ernste Aufgabe, die da hieß: Ganz ruhig bleiben!
Wir gingen zu Fuß zum nahe gelegenen Krankenhaus, das hatte man uns auch empfohlen, den Laufen soll ganz gut helfen, die Muskulatur zu lockern. In der Klinik indes schickten sie uns erstmal wieder weg. Wenn mehr als ½ Stunde zwischen den Wehen liegt, fühlen sie sich noch nicht zuständig. Wir also um den Block gelaufen, bestimmt drei Mal, dabei hielten wir andauernd an und machten seltsame Bewegungen, bis es meiner Frau zu dumm wurde und wir uns – diesmal etwas bedeutungsvoller – wieder in die Geburtsabteilung wagten.
Was ich tun konnte, tat ich. Gut zureden, streicheln, Hand halten, ins Badezimmer begleiten, Kleidungsstücke halten, Ruhe ausstrahlen (das war nicht einfach!), wieder ins Ruhezimmer begleiten, Arztbesuch abwarten. Bei letzterem war meine Präsenz nicht erwünscht, denn wenn der Chefarzt kommt und den Muttermund untersucht, ziehen sogar die Hebammen lange Gesichter, so war es jedenfalls bei uns.
Es sah aus, als würde das Wort Wehe sich alle Ehre machen, ich hätte gern einen Teil davon übernommen, aber ist ja bekannt, dass dies nicht funktioniert – bisher. Es dauerte und dauerte und meine Frau sagte, es sei ungefähr so, als wenn man eine Wassermelone von der ganz großen Sorte rausdrücken soll. Ohjeh…
Nach gefühlten 100 Stunden – es waren „erst“ deren 13 – einigten wir uns darauf, dass ich für ein paar Stunden nach Hause ging und meine Frau ein leichtes Beruhigungsmittel bekam, weil der Muttermund immer noch nicht aufging, sie aber unbedingt eine Pause nötig hatte. Ein Anruf, es würde jetzt doch losgehen, holte mich zurück und dann machten wir eigentlich da weiter, wo wir aufgehört hatten.
Bis endlich, endlich ich Zeuge wurde, wie unsere kleine Tochter – 3,2kg, 50cm – sich blicken ließ. Nicht ganz ohne Probleme. Neben der Hektik, die das Krankenhauspersonal plötzlich veranstaltete, weil jetzt alles ganz, ganz schnell gehen musste, hatte ich zudem irgendwie zu verarbeiten, was ich da sah. Mit Worten nicht zu beschreiben. Dammschnitt, Blut, viele Gerätschaften, Saugglocke – Gott sei Dank hatten sie uns bei der Geburtsvorbereitung einiges davon erzählt -, Arzt- und Hebammenstimmen, die Wehen meiner Süßen, sie blieben ganz zum Schluss aus, als es darauf ankam, welche zu haben. Dann musste sie noch schnell an den Wehentropf (Wehen auslösende Hormongabe), es kam die finale Presswehe…. Und da war sie, unsere kleine Tochter! Meine Frau war völlig am Ende, aber happy – ich verspürte auch so eine Mischung aus Glück und entstöpselter Luftmatratze (pfffff…)
Das war 1996 – jetzt beim Aufschreiben kommt es mir wieder vor wie letzten Monat. Doch unsere Tochter, jetzt fast vierzehn, steht neben mir und drängt mich vom Rechner weg, weil sie chatten will. Wo bitte, ist die Zeit geblieben?
A.S. aus Berlin